Was unsere Oma meisterte muß doch auch bei einem Hund klappen, oder? Das Internet wurde gewälzt und der deutsche Hersteller für Linsen für Tiere interviewt. Mit viel Geduld beantwortete die Mitarbeiterin der Fa Acrivet bei Berlin meine Fragen und ich habe die in der dortigen Homepage gezeigten Videos immer wieder angeschaut. www.acrivet.eu.
Aber welcher Tierarzt hier im tiefen Mecklenburg führt solch eine Operation durch und vor allem, was kostet es? Ich fragte mich durch und verglich die Angaben der erreichbaren Tierkliniken. Manche zierten sich und nannten keine Preise. Klar wurde aber schnell das Preisgefälle zwischen Groß- bzw. Hauptstadtklinik zu den etwas dezentraler gelegenen Praxen. Aber wir wollten auch nicht als Versuchskaninchen für noch unerfahrene Ärzte dienen.
Meine Entscheidung fiel auf die Tierklinik in Rostock und wir besuchten Dr. Rudnick vorab zu einer Grunduntersuchung. Denn was soll eine so aufwändige Operation bei einem über 12 Jahre alten Hund, wenn irgendwo eine Zeitbombe tickt. Betsy bestand den Test und auf Anraten von Dr. Rudnick entschied ich mich zur Operation nur des rechten Auges. Das linke war schon Monate lang erblindet und der Zustand konnte sich durch die schon länger anhaltende chronische Entzündung erheblich verschlechtert haben. Betsy kam ja auch mit nur einem Auge in der Zwischenzeit gut zurecht.
Erkenntnis Nr.1: Nichts ist umsonst.
Dr. Rudnick machte mir ein Festpreisangebot für die OP. Dazu kamen dann noch die Voruntersuchungs- und die Fahrkosten. Aber Betsy hat 28 Welpen das Leben geschenkt und als Amme auch die Würfe der Tochter unterstützt. Der Familienrat beschloss, diese Behandlung steht ihr zu.
Es wurde ein Operationstermin gemacht und anders als beim Menschen mußten über zwei Wochen Vorbehandlungen erfolgen. Augen und Linsen entstehen schon ganz früh im Embrionalstadium, bevor sich das Immunsystem entwickelt. Die getrübten und verhärteten Linsen sind aber so stark verändert, dass sie vom Immunsystem der Hunde nicht mehr erkannt und als Fremdkörper angesehen werden. Es entstehen Abstoßungen, es entwickeln sich entzündliche Abläufe.
Erkenntnis Nr 2:
Bei jedem am Katarakt erkrankten Hund sollte eine Dauerbehandlung gegen diese Vorgänge erfolgen. Auch wenn keine OP erfolgt!
Am 10.April ging es dann endlich die über 100 km nach Rostock. Die OP konnte ich leider nicht mitverfolgen, ich hätte da nur im Wege gestanden. Anfangs war ich der Meinung, Betsy könnte nach dem Eingriff am gleichen Tage wieder nach Hause. Bei Oma ging es ja so. Aber: nein, nein!
Erkenntnis Nr. 3:
Das Immunsystem der Hunde reagiert sehr heftig und es ist eine fachliche Kontrolle notwendig, bis alles sich etwas eingespielt hat.
Da man durch die trübe Linse nicht den Augenhintergrund einsehen konnte, wurde vor dem Eingriff ein Ultraschall von der Netzhaut gemacht. Denn wäre diese beschädigt, hätte eine neue Linse keine Sehfähigkeit zurückgebracht. Auf den Videos kann man sehen, wie viel Mühe es macht, die schon völlig verhärteten Linsen mechanisch und chemisch aufzulösen, um alles dann durch den kleinen Einschnitt in der Hornhaut herauszusaugen. Beim Menschen erfolgt eine OP viel früher und es kommt meist nicht zu dieser starken Verhärtung. Die Vorbereitung und die Einbringung der aufgerollten Ersatzlinse wurde uns von Herrn Dr. Runick eindrucksvollerläutert. Es werden für solche OP aufwendige und kostspielige Aperaturen benötigt. So kann man verstehen, dass nur wenige TÄ eine solche OP durchführen.
Es erfolgte eine Behandlung mit verschiedenen und Pillen, Tropfen Tag und Nacht. Betsy mußte also zur Beobachtung 3 Tage in der Klinik bleiben. Sie war in ihrem ganzen Leben nie ohne ein Familienmitglied, aber ist die Sache unendlich mutig angegangen. Sie spürte, dass es Hilfe gab.
Erkenntnis Nr. 4:
Das Sehen ist neu und anders und muß erst wieder erlernt werden.
Schon in der Klinik wurde ein kleiner Parcour im Behandlungszimmer aufgebaut und es gelang Betsy nun den Zusammenstoß mit Stühlen und Kästen zu vermeiden. Mit Spannung erwarteten wir dann unseren „neuen“ Hund und reisten mit der ganzen Familie ( Frauchen, Herrchen, Oma, Betsys Tochter Amanda vom Strithorst und Enkelin Ginny vom Strithorst) an. Oma, 97 Jahre, sponserter die OP, denn: „Ich weiß was es heißt kaum zu sehen und uns Alten darf man nicht einfach ins Abseits schieben!“ . Die Begrüßung war freudig aber das Sehen klappte noch nicht wirklich. Nun, in der Klinik gab es ja wenig Gelegenheit zum Üben, immer weitgehend gleiche Beleuchtung und der selbe und unbekannte Raum. Schon im Auto folgte Betsys Blick den anderen Autos, sie fixierte die Mitfahrer. Als mein Mann dann nach dem Tanken zurück zum Auto kam, erkannte sie ihn und freute sich nach Kromiart. Ich teilte mit ihr die Rückbank und immer wieder schaute sie mich an. Ich konnte es mir nicht verkneifen, bewegte meinen Mund aber sprach nicht mit ihr. Puh, da ging das Köpfchen aber hin und her nach dem Motto: “ Mist, jetzt kann ich zwar sehen, aber plötzlich ist der Ton weg!“ Ich mußte lachen und sie war aus dem Häuschen, alles stimmte wieder.
Erkenntnis Nr. 5:
Nach der OP ist längst nicht alles vorüber!
Da erwartete uns noch viel Arbeit. Nun hieß es tropfen, tropfen, tropfen! Alle vier Stunden gab es im Abstand von 15 Minuten verschiedene Augentropfen, morgens und abends dann noch Pillen mit Cortison. Nach der ersten Nachuntersuchung nach einer Woche wurden dann die Nachtschichten geschafft, es reichten fünf Tropfintervalle. Der Kopfschutz konnte schon nach 14 Tagen entfallen und nach zwei weiteren Kontrolluntersuchungen in Rostock gibt´s nur zwei mal täglich einen Tropfen ins Auge und die halbe Pille ist ein Klacks. Natürlich wird auch das erblindete Auge weiterbehandelt.
Erkenntnis Nr. 6:
Unsere Entscheidung war richtig.
Natürlich haben wir keine neue Hündin, Betsy wird ja auch bald 13 Jahre alt. Aber ihr Leben würde wieder lebenswert. Sie fand ohne Probleme die Dose mit den Leckerlies, streunte allein über das Grundstück und besuchte die Pferde auf der Koppel. Bei den Spaziergängen ging sie wieder mit Nachdruck ihren eigenen Weg. Schwieriger waren die Treppen im Dunkeln und das Sehen in absoluter Nähe. Doch sie wurde vorsichtiger , wenn man sie aus der Hand fütterte. Die Finger bleiben nun heil. Sie lernte jeden Tag noch dazu und wir mußten immer wieder über ihren Erfindungsreichtum und die Experimentierfreude lachen. Sie konnte voller Stolz ihre Urenkeln vom J-Wurf vom Strithorst betrachten.
Erkenntnis Nr. 7:
Es kommt immer anders als man denkt !
Nach sechs Wochen Freude und Entspannung nun der herbe Rückschlag. Betsy wurde wieder scheinträchtig. Wir kennen es schon und können gut damit umgehen. Aber für die Hündin ist es ein Hormonrausch und viel Stress. Ginnys Wurf quickte ja schon im Haus. Mit Schrecken bemerkten wir eine starke Verschlechterung der Sehfähigkeit unserer Betsy und es ging wieder mal den langen Weg nach Rostock. Noch vor zwei Wochen war die Nachuntersuchung wunschgemäß und nun der Schock: das Ultraschallbild zeigte starke Ablösung der Netzhaut. Diese plötzliche Form kann auftreten durch Bluthochdruck oder durch Diabetis. Beides konnte nicht festgestellt werden. Aber sie hat in den vorangegangenen Tagen sichtbar gelitten und wer mißt schon bei seinem Hund regelmäßig den Blutdruck.
Es wird versucht mit Medikamenten diese neuerlichen innerlichen Entzündungsvorgang zu bremsen um einen Teil der neugewonnenen Seefähigkeit zu erhalten.
Betsy hat aber gelernt mit dem erneuten Sehverlust besser umzugehen als Anfang März. Sie bewegt sich auf „Kontrollgängen“ durch Haus und Garten als wolle sie sich ihre Wege genau einprägen. Das Ultraschallbild zeigt eine intakte Netzhaut im linken Auge und wir hätten die Möglichkeit dort eine Operation zu versuchen. Aber da völlig unklar ist, was diese heftigen Reaktionen in Stresssituationen in den Augen auslöst, werden wir vorerst das Risiko nicht eingegen. Vielleicht können wir ja einen kleinen Rest Sehfähigkeit im operierten Auge erhalten.
Alles war aufwändiger und dramatischer als erwartet, aber: Wir würden es immer wieder versuchen!